1906 - Als Schiffskonditor nach Brasilien

 

Motto:  Bleib nie am Boden heften,

            frisch gewagt und frisch hinaus!

            Kopf und Arm mit heitern Kräften,

            überall sind sie zu Haus.

            Wo wir uns der Sonne freuen,

            sind wir jede Sorge los.

            Dass wir uns in ihr zerstreuen,

            darum ist die Welt so groß.

                                         Goethe

An einem herrlichen Mai-Abend des Jahres 1906 saß ich im Kreise zweier Landsleute auf der Terrasse des Hafenpavillons der weltbekannten Langen Linie zu Kopenhagen.

 

Der Kellner brachte das schäumende Tuborg Pilsener, und hell erklangen  die Gläser auf das Wohl deutscher Mädchen. Bemerken möchte ich noch, dass der eine Landsmann ein Kollege und geborener Westfale, und der andere Kellner und Schleswig Holsteiner war. Letzterer hatte als Steward auf Schiffen des Norddeutschen Lloyds mehrere Jahre die Weltmeere durchkreuzt.

Wir lauschten abwechselnd den Klängen einer Militärkapelle und den Erzählungen des Schleswig-Holsteiners. Als dezenter Erzähler rief er in uns die Sehnsucht wach, auch einmal über den großen Teich zu gondeln, um die Wunder der Neuen Welt zu schauen. Mein Kollege war so berauscht von den Erzählungen, dass er schon am nächsten Tag ein Bewerbungsschreiben an den Norddeutschen Lloyd in Bremerhaven ausfertigte, welches mit großen Hoffnungen begleitet vom Stapel gelassen wurde. Schon nach einigen Tagen traf vom Lloyd ein Kärtchen folgenden Inhalts ein: „Da wir mit Schiffspersonal versehen sind, können wir von Ihrem Angebot keinen Gebrauch machen. Dieses Kärtchen hatte auch mich belehrt, dass es nicht einfach ist, als Unbefahrener Engagement auf Schiffen zu erhalten.

 

 

Anfang Juni verließ ich Dänemark um mich im Geschäft meines Vaters in unserem beliebten Kurort am schönen Ostseestrand zu betätigen. Unter den vielen bekannten, unserem Ort treuen Kurgästen, fand ich eine Familie aus Hamburg vor, welche in Schifffahrtskreisen gute, persönliche Beziehungen hatte. Durch Fürsprache dieser Familie erreichte ich, dass ich im Heuerbüro der Hamburg-Amerika-Linie (Hapag - Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actien-Gesellschaft ) als Konditor vorgemerkt wurde. 

Um nun bei Bedarf sofort bereit zu sein, fuhr ich Ende September mit großen Hoffnungen nach Hamburg ab. Täglich musste ich im Heuerbüro vorsprechen; aber es ging nicht so schnell, wie ich es mir gedacht hatte.

In den nächsten Tagen hatte ich Gelegenheit, das Leben und Treiben der Welthandelsstadt Hamburg kennenzulernen. Jedoch am meisten zog mich der Hafen an, und ich versäumte nicht, mehrere größere Ozeanriesen zu besichtigen.

 

So waren vierzehn Tage vergangen als mir eine Stellung auf einem Dampfer nach Brasilien, Südamerika, angeboten wurde. Abends wurde noch ein bisschen Abschied gefeiert. Am nächsten Morgen 10 Uhr war ich ins Untersuchungszimmer des Schiffsarztes bestellt und wurde von dort für diensttauglich befunden.

Es war ein trüber Oktobertag als mich eine Droschke II.er Güte mit meinem Gepäck zum Hafen nach den St. Pauli Landungsbrücken brachte. Dort angelangt, überließ mich der biedere Hamburger Droschkenkutscher meinem Schicksal und trieb seine Rosinante zur Rückfahrt an. Verschiedene Arbeitslose, sogenannte „Hafenlöwen“, welche eben noch müßig an der Kaimauer lehnten, kamen jetzt diensteifrig auf mich zu. Als ich ihnen mein Ziel verraten,  hatte auch schon einer sich meines Gepäcks bemächtigt und fort ging‘s zum

St. Pauli Fischmarkt. Daselbst angelangt, rief mein Begleiter einen Jollenführer heran und übertrug diesem die weitere Führung.

 

Ich bestieg das schwankende Boot, und nach ca. 20 Minuten Fahrt hatten wir unser Ziel erreicht. Vertrauensvoll lehnte sich unser Boot an den riesenhaften Ozeandampfer an. Mit nicht geringem Herzklopfen stieg ich das Fallreep empor. Von der Wache nach meinem Begehr befragt, wurde ich nach der Küche abgeschoben. Dort selbst wurde ich vom Küchenchef empfangen und meinen zukünftigen Kollegen vorgestellt. Der 2.Koch begleitete mich in meine Kabine. Von den vier Kojen (Betten) war eine frei und wurde mir zur Verfügung gestellt. Aber sakra, wie sah das Ding aus. Ganz gottverlassen ruhte da ein zusammengerollter Rettungsgürtel auf einem Brett, sonst nichts. – Die Betteinlagen, wie Seegrasmatratze und Wolldecken, wurden vom Zwischendecksteward gegen entsprechendes Entgelt entliehen und damit mein Kahn ausgepolstert, indem der Rettungsgürtel als Kopfunterlage benutzt wurde. - Auch im Übrigen wurde hier das Wort: „Raum ist in der kleinsten Hütte“ recht augenfällig zur wahren Bedeutung.   Doch schnell gewöhnte ich mich ans Unvermeidliche.

 

Nach der Küche zurückgekehrt, war das Diner schon hergerichtet, welches mir vorzüglich mundete. Nach dem Essen wurden noch einige Gläser Bier getrunken, zumal ich mich als Neuling einführen musste. Nach all den Aufregungen des Tages sehnte ich mich nach Ruhe und begab mich frühzeitig in meine Koje. Als ich glücklich alle Glieder in dem sargähnlichen Ding zurechtgerückt hatte, fühlte ich mich alles andere als behaglich. Ich schlief aber doch bald ein und erwachte nicht eher, als ein durch  Mark und Bein dringender Ruf des Quartiermeisters (Staurer) -Reise-Reise- (Weckruf auf Schiffen)  mich weckte. Es war früh fünf Uhr.

 

Der Oberkoch hatte schon am Abend vorher die Arbeitseinteilung getroffen, und so nahm ich mein Proviantbuch, sowie diverse Schüsseln und begab mich in die Proviantausgabe. Im Verlauf einiger Minuten hatte ich das gewünschte. Der Konditoreibetrieb an Bord ist von großer Bedeutung, zumal sie den Mahlzeiten den beliebten süßen  Abschluss gibt und täglich mit reicher Abwechslung aufwartet. Schon des Morgens zum Frühstück wird verschiedenes Gebäck, sowie Äpfel usw. serviert. Noch reichhaltiger ist die Auswahl, die den Passagieren zum Lunch (II. Frühstück) geboten wird, z.B. gestürzte Cremes, Torte, eine Sorte Eiscreme mit Gebäck und anderes mehr präsentiert die Menükarte zur Auswahl den Fahrgästen der ersten Klasse. In der zweiten Klasse wird Pudding und gleichfalls Eiscreme mit Gebäck gereicht. Die Hauptarbeit für die Konditorei bringt die Hauptmahlzeit in den verschiedenen Klassen, Torte, warmen Pudding, drei verschiedene Eiscremes und verschiedenes feines Gebäck werden bereitgehalten. Die Diner-Karte für die zweite Klasse weist an Süßspeisen gestürzte Cremes oder Eiscreme mit einer Sorte Eisgebäck auf, während die Passagiere der dritten Klasse als Nachtisch zur Hauptmahlzeit abwechselnd  Pudding, Fruchtschnitten oder Gefrorenes mit Waffeln erhalten. Für die Aufbewahrung der amerikanischen Eiscremes sind große Konservatoren im Kühlraum des Schiffes.

 

 

Die amerikanischen Eiscreme ist in Pergament in sogenannte Bricks (Pappkarton) verpackt und wird in nachstehenden Sorten vorrätig gehalten: Vanille, Erdbeer, Himbeer, Zitrone, Tutti Frutti, Schockolade , Orange, Columbia, Praline, Ananas, Morra, Bisquit Tortoni, Nesselrode und Napolitain.

 

Die Dampfer der Hamburg-Amerika-Linie sind mit allen Einrichtungen eines  modernen Konditoreibetriebes ausgestattet. Der Dampfbackofen wird am Tage von den Konditoren und des Nachts von den Bäckern benutzt. An Maschinen besitzt die Backstube eine Knetmaschine, eine Anschlagmaschine sowie eine Eismaschine, deren Kessel circa 40 Liter Eis aufzunehmen vermag, sowie zahlreiche andere Apparate und Maschinen, die in einem neuzeitlichen Betrieb nicht fehlen dürfen.

 

Jetzt will ich wieder mit einer Reiseschilderung fortfahren. Eben damit beschäftigt, den zum Lunch bestimmten Blätterteig dem Ofen zu übergeben, trat der Oberkoch ein und gähnend meldete er, dass Tender mit den Passagieren in Sicht sei. Ich folgte ihm an Deck, und mit dem Oberkörper über der Reling liegend erzählte mir der Chef, dass die Mehrzahl der Passagiere der launigen Nordsee wegen das Schiff erst von südlichen Häfen benutzt und erst in Lissabon unsere Arbeit richtig losgeht. Inzwischen hatte der Tender festgemacht und eine größere Anzahl Passagiere bestiegen unser Schiff. Es herrschte reges Leben an Bord. Eine Unmenge Gepäck wurde von den Stewards an Deck entlang geschleppt. Mit dem Gedanken über die bevorstehende Reise beschäftigt, wurde ich durch die schaurich tönende Dampfsirene aus meinen Träumen aufgeweckt. Es war das Zeichen, dass alle Passagiere an Bord waren. Mittlerweile hatte der Tender uns verlassen und dampfte nach Hamburg zurück. Wieder setzte die Sirene ein, und es wurden die Anker gelichtet. Als zum dritten mal das Signal ertönte, setzten die Maschinen ein und langsam glitt unser Dampfer majestätisch Elbabwärts seinem fernen Ziel entgegen. Vom Promenadendeck herunter schallten die Klänge der Schiffskapelle „Muß i denn zum Städtelein hinaus“. Der Zeiger der Küchenuhr stand auf zehn.

 

Da es meine Zeit erlaubte, stand ich an der Reling, damit  mir das ewig wechselnde Schauspiel nicht entging. Welch Getöse, welch grandioses Bild zeigt der Hafen. Kahn an Kahn schiebt sich mit uns durch die Fluten, dazwischen gleiten eilends die kleinen Ewer. Überall an den Kaimauern angeschmiedet schlummern die Kolosse des Ozeans. Rasselnde Kräne füllen ihre unersättlichen Bäuche unter ohrenbetäubendem Lärm, kräftige Zangen fassen die zentnerschweren Kisten, schleudern sie spielend über die hohe Bordwand und senken sie tief hinab in den Laderaum. So singt die Arbeit ihr Lied. Der Koloss an der Kaimauer rührt sich nicht, um ihn herum flitzen die kleinen Dampfboote von einer Seite des Hafens zur anderen und rüsten emsig den großen Herrn des Ozeans zur Reise aus. Nirgends pulsiert das Leben kräftiger als im Seehafen. Langsam, mit halber Kraft bahnte sich unser Schiff seinen Weg. Es herrschte nämlich auf der Elbe ein sehr reger Schiffsverkehr. Von See kommen die plumpen englischen Kohlendampfer und auslaufend die deutschen und schwedischen Holzdampfer, tiefgeladen und schiefliegend ziehen sie ihre Straße. Dazu die vielen größeren und kleineren Segelschiffe resp. Fischerboote. Ein wirklich bunt bewegtes Bild. Bei Teufelsbruch sollten wir schon eine kleine Havarie erleben, indem wir auf Grund gerieten, kamen aber nach angestrengter Arbeit der Maschinen wieder flott. Nach und nach passierten wir das Bergklimmende Blankenese mit dem reizenden Süllberg; dann das freundliche Wedel und das gesegnete Alte Land zur Linken.

Das Diner war beendet als die Lichter von Cuxhafen in Sicht kamen, und wir liefen in die Nordsee ein.

 

-Nordsee-Mordsee- In Seefahrtskreisen so genannt wegen ihrer tückischen Launen und den vielen Schiffsunfällen. Die Nordsee ist eine unersättliche, Zerstörerin und Mörderin. Aber diesmal zeigte sich uns die deutsche Nordsee in ihrer ganzen herben Schönheit, graue Wetterwolken, oft drohend zusammengeballt und eine frische Brise. Am anderen Morgen sieben Uhr, es war Sonntag, passierten wir Dover. An der Südküste Englands siegte die Sonne und leuchtend lag Dover vor uns. Somit hatten wir den Kanal erreicht. Vorn ging die Fahrt immer nahe an den weißen Kreidefelsen Englands dahin, und bei schönem Wetter legten wir auf der Reede von Boulogne sur Mer an. Durch einen Tender der Hamburg-Amerika-Linie erhielten unsere Kajüten Zuwachs an Passagieren. Sobald der letzte Passagier den Schiffsboden betreten hatte, wurde die Fahrt fortgesetzt. Ein schöner Anblick war, als unser Dampfer, nachdem er in der Bucht von Portsmouth einschwenkte, an der welligen Küste der Insel Wright vorbeifuhr und auf der Reede von Southampton die englische Kriegsflotte passierte. Grüßend wurde auf unser Schiff die Flagge gedippt und vom englischen Flaggschiff erwidert.

 

Eine Stunde später wurde gemeldet: „Es wird dick“ (neblig) und in kurzer zeit war unser Schiff in dichten Nebel eingehüllt. Ein undurchdringlicher Schleier lag über dem Schiff, so dass es seine Fahrtgeschwindigkeit vermindern musste. Die Sirene heulte in gleichmäßigen Zeiträumen ihre Warnungssignale in die undurchdringliche Luft. Aus Fern und Nah tönten aus dem Dunste die Nebelhörner und Dampfsirenen der Schiffe. Näher und näher Klang eine dumpf dröhnende Stimme und verkündete das Herannahen eines fremden Schiffes. Alles stierte in den kalten Wasserdampf. Kaum erkannte man vom Hinterschiff aus durch die Nebelschwaden hindurch Schornstein und Maste.

 

Mit beklemmender Schwere legt sich die dicke, feuchte Duft auf die Lungen und behindert das Atmen. –Lautlos ruft das Meer. - Da plötzlich tauchte vor uns die Form eines englischen Torendampfers auf, welcher circa 20 m Entfernung unseren Bug kreuzte. Ein Fluch von unserer Kommandobrücke begleitete den Engländer.

 

Als wir den Kanal verließen, war der Nebel verschwunden und wir steuerten auf den Golf von Biscaya los. Der gefürchtete Golf von Biscaya auch „Spanische See“ oder „ das holperige Fahrwasser“ genannt, schien diesmal gutgelaunt zu sein. Wir sollten aber bald erfahren, dass es nur gute Laune zum bösen Spiel war. Wir hatten eben das Leuchtfeuer von Brest passiert und den Kurs auf Leixoes (Portugal) gerichtet. Es mochte gegen sieben Uhr abends sein als der erste Offizier auf der Bildfläche erschien  und der Ruf: Alles seefest machen! Durchs Schiff erscholl. An Deck wurde alles lebendig und es regten sich die Hände der wachhabenden Matrosen. Die Windhuzen (Ventilationsrohre) wurden mit einer Klappe versehen, sämtliche Bullaugen wurden fest verschraubt und alles an Bord in Sicherheit gebracht, was nicht niet- und nagelfest war.

 

Auch wir betätigten uns in unseren Räumen, um alles auf Seefestigkeit zu prüfen. Nachdem noch zehn Mehlfässer, welche der Bequemlichkeit halber in der Bäckerei aufgestapelt waren, in Sicherheit gebracht hatten, begaben wir uns in banger Erwartung des kommenden Unwetters zur Ruhe. Es dauerte lange bis ich einschlief, aber schließlich forderte die Nacht  ihr Recht. Um Mitternacht erwachte ich durch das Heulen des Sturmes und das Rollen und Stampfen des Schiffes. Der Schlachter, der wie ich seine erste Reise machte, war auch schon munter und tastete nach dem elektrischen Schalter, aber das Licht versagte. Witzig wie immer sagte er, jetzt müssen wir wohl unser Testament und Bekanntschaft mit den Haien machen. Das Schiff ächzte als wolle es bersten. Mit unserem Schlaf war es vorbei und langsam verliefen die Stunden der grausigen Nacht bis endlich der diesmal ersehnte Ruf „-Reise-Reise-“ erscholl. Wir kleideten uns mit einiger Mühe an, begaben uns in die Küche und debattierten gerade über das Thema „Seekrankheit“ als der Metzger leichenblass aus der Küche schlich. Ich fühlte mich noch ganz wohl und hätte eben noch zehn gegen eins gesetzt seefest zu sein, als mich die Pflicht rief. Mühsam kämpfte ich mich an Deck entlang  um Proviant zu holen. Wie ein Betrunkener torkelte ich bald nach Backbord, bald nach Steuerbord fliegend an dem zur Sicherheit mittschiffs gespannten Seil entlang. Ich mochte wohl die Hälfte des Weges zurückgelegt haben als meine weiße Mütze auf  Nimmerwiedersehen in alle Winde flog. Im selben Moment holte das Schiff hart nach Steuerbord über und Neptun überschüttete mich mit einem gewaltigen Sprühregen. Pudelnass langte ich im Proviantraum an.  Als der Proviantmeister mich erblickte, sagte er mit lächelnder Miene: „Was ist denn mit dir los, Süß? Bist du seekrank? Das Wort seekrank war gefallen und sonderbar, ich hatte plötzlich ein sonderlich kaltes Gefühl, das sich von der Nasenwurzel aus übers Gehirn zog. Dabei standen mir die Schweißtropfen auf der Stirn. Das waren die ersten Anzeichen der  Seekrankheit. Auf Anraten des Proviantmeisters trank ich einen Kümmel, den er mir kredenzte. Nach dem Genuss des Kümmels verlor ich ganz das Gleichgewicht, und aus dem unheimlichen Gefühl war ein Würgen geworden. Mein Magen schien mir im Gehirn und umgekehrt zu sitzen. Von Lachsalven begleitet stürzte ich wie ein Besessener die Treppe empor, und eben hatte ich die Reling erreicht als ich auch schon dem Meergott meinen Tribut zollte. Glücklicherweise hielt sich niemand in der Nähe auf, so dass meine endgültige Niederlage unbeobachtet blieb. Todkrank langte ich in der Küche an, und das Sprichwort: „Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen“ bewahrheitete sich. So geht es dem Unbefahrenden!. So geht’s den Landratten, scholl es mir entgegen. Den mir von einer mitleidigen Seele erteilten Rate, Schwarzbrot zu essen, musste ich aufgeben, weil der Magen nichts annahm. Schweigend verließ ich auf Befehl des Oberkochs die Küche, kämpfte mich an Deck entlang und erreichte mehr tot als lebendig meine Kabine.

 

Der Schlachter lag bereits in der Koje, und stöhnend verwünschte er die ganze Seefahrt. Auch ich bekannte, einmal und nicht wieder. Ohne mich zu entkleiden stieg ich in meinen Kahn. So wie ich lag wurde mir etwas besser, und es dauerte nicht lange bis ich einschlief. Am nächsten Morgen hatte der Sturm ein wenig nachgelassen, aber das Essen schmeckte mir durchaus nicht, die Arbeit ebenso wenig. Ein Trost war, dass ich nach eigenem Ermessen arbeiten durfte und der größte Teil der Passagiere seekrank war. Wieder wurden wir in unseren Hoffnungen getäuscht, denn in wenigen Stunden hatte sich die Stimmung bereits geändert. Brausend strich der kalte Nordwind übers Schiff. Unaufhörlich stürmten die schäumenden Wogen gegen den Bug des Schiffes  und drohende, bleigraue Sturmluft reckte sich im Westen auf. Der Sturm wuchs, und in wenigen Minuten hatten wir Windstärke 14 erreicht (8 ist Orkan), orkanartig brauste der Sturm daher und überflutete das Schiff mit einem fürchterlichen Sprühregen. Die haushohen Wellenberge schlugen zum Teil übers Bootsdeck hinweg. Ich spürte das Übel von neuem heraufdämmern und verschwand in meiner Kammer, ließ mich fürs Erste nicht mehr blicken.

 

Am Abend des dritten Tages flaute der Sturm ab. Der Wind hatte fast nachgelassen und nur noch eine hohe Dünung blieb. Cap Finisterre kam in Sicht und als wir am nächsten Tag erwachten, lagen wir vor Leixoes (Porto). Alle waren wieder kreuzfidel an Bord. Nachdem noch einige Passagiere on Bord genommen, wurde der Kurs auf Lissabon gerichtet, das in circa zwanzig Stunden erreichbar ist. Bald nach Passieren der Burling Insel und des Caps Carvoeiro wurde das aus weißem Marmor erbaute Schloß Mafon sichtbar; man spricht von einer Frontlänge von 250 Meters. Nach kurzer Zeit kommt das Cap Rora, der westlichste Punkt Europas mit seinem malerischen Leuchtturm in Sicht. Im Hintergrund liegen die Cintra-Berge, auf dessen Gipfel das Schloß Cintra liegt. Nach Umschiffung des Cap Razo mit dem Fort San Braz und passieren des Leuchtturmes Caräes läuft der Dampfer zwischen den Fort St. Inlian und Bugio hindurch in die herrliche Bucht des Tajo Flusses ein.

 

Circa sieben Meilen stromaufwärts ließ unser Dampfer dicht vor der Stadt Lissabon die Anker fallen. Die Stadt ist auf Hügeln erbaut. Als höchstes Gebäude ragt der Vern von „Estrella“ über die anderen hinweg. Am Nord- und Südufer liegen zwischen Hügeln und Bergen zahlreiche Dörfer. Etwa zwanzig Meter von uns entfernt, lichtete ein kolossaler Wörmann-Dampfer, der mit Soldaten der Schutztruppe aus Ostafrika auf der Heimreise begriffen war, die Anker und unter Hurrarufen und Absingen von Heimartliedern entschwand der schmucke Dampfer langsam unseren Blicken.

 

Schon gab es eine neue Augenweide, nämlich, soeben hatte der Tender an backbord angelegt und nebenan die Zollbarkasse.  In den nächsten Minuten konnte jeder seine Postsachen in Empfang nehmen. Es entwickelt sich jetzt ein buntes Bild unseren Augen. Hin und Her flitzte in pfeilschneller Fahrt die hübschen, reich mit Messing verzierten Barkassen, und nachdem die Zollrevision stattgefunden, stellten sich die von Besatzung gern gesehenen Händler ein und manches fremdländische Andenken wurde von den feschen Spanierinnen erstanden.

 

Am 21. Oktober lichtete unser Dampfer die Anker und steuerte unter halber Kraft dem Atlantischen Ozean zu, um das Ziel auf Funchal (Madeira) zu setzen. Unsere Schiffsbesatzung war in Lissabon durch zwei portugiesische Köche und drei Stewards ergänzt. Auch die Kajüten waren jetzt ziemlich besetzt. Das Wetter war schön. Es gab jetzt viel Arbeit, aber trotzdem verblieb viel freie Zeit, das Leben und Treiben an Bord, insbesondere im Zwischendeck zu beobachten.  Kein Ort weckt wohl mehr Interesse als ein Auswandererschiff nach Brasilien, wo im Zwischendeck die verschiedensten Menschentypen der verschiedensten Rassen zusammengewürfelt sind. Die Mehrzahl stellte jedoch der Araber, Spanier und Portugiese. Auf dem engbemessenen Raum des Zwischendecks ist es mir vergönnt gewesen, in das Wesen, in Sitten und Gebräuche der verschiedenen Völker einen tieferen Einblick zu gewinnen, als es mir je auf dem Festland möglich gewesen wäre.

 

Der 22. Oktober war angebrochen, die Sonne setzte mit ihrem frührot ein, es versprach ein schöner Tag zu werden. Morgenfrische Stimmung lag auf dem Ozean. Mit dem Gedanken über eine vorzunehmende Arbeit schlenderte ich dem Proviantraum zu. Unterwegs traf ich den Bootsmann mit zwei Burschen von circa 14 Jahren. Nach Befragen erfuhr ich, es wären sogenannte blinde Passagiere, die sich in Lissabon an Bord geschlichen hatten, um das Fahrgeld zu sparen. Auf hoher See, vom Hunger getrieben, kamen sie zum Vorschein, wurden abgefasst und mussten bis zum nächsten Hafen die Überfahrt durch schwere Arbeit verdienen.

 

Mit jedem Tage wurde es wärmer, ein Zeichen, dass wir uns den Tropen näherten. In den unteren Schiffsräumen wurde ein längeres Verweilen lästig, im Zwischendeck fast unerträglich. Die Luft daselbst geschwängert von allerlei Parfüms und Ausdünstungen. So kommt es denn, dass diese Unmenge von Zwischendeck-Passagieren des Nachts unter freiem Himmel an Deck, wie auf einem Schlachtfelde schläft. Männer, Frauen und Kinder, bunt durcheinander, man musste größte Vorsicht walten lassen, um nicht über Leichen zu stolpern. In einer Ecke der Ladeluke lag ein junger Spanier, neben ihm sein blühendes Weib von ca. 18 Jahren, in ihren Armen ein kleines Baby gebettet. Plötzlich erschollen die Angstrufe der Mutter, die Träumende wähnte ihren Liebling schon im Magen eines Seeungeheuers. Der Vermisste, ein kleines Lumpenbündel, kam gähnend wieder zum Vorschein. Eine rührende Widerbegegnung spielte sich ab, heilige Stille sank wieder aufs Schiff – aufs  Meer.

Dort, scheu in einem Winkel saß eine junge Jüdin mit zartem Gesichtsausdruck, großen dunklen Augen und der fein geschwungenen Nase ihrer Rasse. Zwei bildschöne Kinder klammerten sich ängstlich an die Mutter. Man musste sich abwenden vor dem stummen Jammer dieser Augenpaare.

Ein anderes Bild. Vier Araber hocken im Kreise und beten zu Allah, ein fortwährendes Gemurmel, immer in ein und demselben Tone. Verwittert und arm an Reizen wie ihre Heimat sind die meisten.

 

Nach 2 ½ tägiger Fahrt kam wieder Land in Sicht. Sobald es meine Zeit erlaubte, verschwand ich auf dem Bootsdeck. In staunendes Sinnen verloren, saß ich auf einem Haufen Schiffstaue. In der Ferne drüben schimmerten die grünen Berge mit ihren weißen Häuschen, und über mir dehnte sich wolkenlos das unendliche Blau. Langsam glitt unser Schiff auf dem ruhigen Meere dahin und immer deutlicher entrollte sich meinen Augen das herrliche Panorama Madeiras mit seinen vielgepriesenen Weinbergen. Noch bevor das Schiff die Anker versenkte war unser Dampfer von ca. zwanzig kleinen Ruderbooten umzingelt. Als Insassen entpuppten sich Knaben im Alter von 5 – 14 Jahren , den vor der Tropensonne braungebrannten Körper nur mit einer Badehose bekleidet und bettelten um Geld. Von allen Seiten regnete es Münzen von den Promenadendecks; doch bevor das Geldstück das Wasser erreichte, schossen zwei bis drei Jungen blitzschnell in die Tiefe, um durch geschicktes Tauchen die Münze zu erhaschen, was auch stets gelang. Schreiend gab ein kleiner, etwa sechsjähriger Junge zu verstehen, für eine RM würde er von der Kommandobrücke herunter ins Meer springen, und schon war er, gewandt wie ein Eichkätzchen am nackten Schiffsrumpf  empor geklettert, zum Sprunge bereit. Hoch im Bogen das blinkende Geldstück als winkender Lohn ins Meer. Mit einem kühnen Sprung schoss der Junge ins Wasser und entschwand unseren Blicken. Doch nach einigen spannenden Sekunden tauchte der Körper wieder auf, und unter Beifallsrufe uns Kehlen hunderter erklimmt der Sieger sein Boot und hielt triumphierend das Markstück in die Höhe.

 

Mittlerweile waren die Passagiere, welche Madeira als Reiseziel hatten, vom Tender der Hapag aufgenommen und steuerten der Küste zu. Auch ich hatte einen guten bekannten verloren. Ein Berliner Vogelhändler war nämlich mit seinen vielen hundert Kanarienvögeln ausgestiegen, um die gelben Singvögelchen in Madeira mit gutem Gewinn zu verkaufen. An Bord wimmelte es jetzt von Insulanern. Händler mit den berühmten Madeira Stickereien, andere mit Schmucksachen, Madeira-Ringe u.a.. Wieder andere boten Ansichtskarten oder Früchte feil. Es war der schönste Jahrmarkt. Ich erstand diverse Ansichtskarten, um sie in Eile mit dem Agenten der Hapag zur Beförderung mitzugeben. Soeben die Korrespondenzen erledigt, erscholl auch schon das Signal: „Fremde von Bord!“ Alles rannte durcheinander und raffte seine Sachen zusammen um in die Boote zu verschwinden. Hier und da zögerte noch einer, der noch auf  Bezahlung der eben verkauften Sachen wartete, musste aber schließlich ohne Lohn unter Fluchen das Schiff verlassen. Jan Maat hatte billig gekauft.

 

In wenigen Minuten war das Schiff geräumt, und unter Volldampf glitten wir wieder in den Atlantik hinein und zwar befanden wir uns jetzt auf der großen Chaussee, wie der Seemann die elftägige Fahrt von Madeira bis Bahia (Brasilien) nennt. Elf Tage ohne Land, nur Himmel und Wasser. Wir hatten schon dem Unvermeidlichen gefügt und suchten die Feierstunden so angenehm wie nur möglich zu gestalten. Es war herrliches Sommerwetter. An schönen Abenden hatten sich natürlich alle Passagiere auf Deck versammelt und vergnügten sich auf mancherlei Weise. Auch im Zwischendeck ging es wieder mal lustig zu. Ein junger Bursche, in der originellen Tracht seiner Heimat, hatte sich eine Ziehharmonika mitgebracht, ein Ungar in weiten, weißen Hosen und hemdartiger Jacke, eine Geige. Sie saßen auf dem Boden, die Beine nach Türkenart unter dem Körper gekreuzt, und spielten. Einige Mädels sangen dazu und schon drehte sich eine Anzahl Paare im Kreise. Ein buntes Bild, den von oben zuschauenden Kajüten - Passagieren ein Blick in eine andere Welt. Der Tag neigt sich. Mit Volldampf voraus sucht der Dampfer seine Bahn.

 

Zwei Tage von Madeira unterwegs wurde die See wieder lebendig, unser Heim fing wieder an zu tanzen. Ich wurde Gott sei dank von der gefürchteten Seekrankheit verschont. An meinen Mitmenschen konnte ich jetzt erfahren, welche Eindrücke ein Seekranker auf einen Seefesten ausübt. Schaurige Szenen spielten sich hauptsächlich im Zwischendeck ab. Hin und Herr liefen die Matrosen mit Schlauch und Besen um das Deck unter Flüchen zu säubern. Im Begriff, den Schauplatz des Elends zu verlassen, fiel mir etwas Glänzendes vor die Füße. Bei näherer Betrachtung war es ein fliegender Fisch. Derselbe war von hochgehenden Wogen erfasst und an Deck geworden worden. Der fliegende fisch ist nicht größer als ein Hering, er benutzt die Brustflossen als Flügel. Sie tauchen in großen Schwärmen aus dem Wasser auf, erheben sich und schnellen bis zu hundert Meter über die Wasserfläche Dahin, um alsdann wieder in der Tiefe zu verschwinden. Auf Segelschiffen werden sie öfter gefangen und gesotten als Delikatesse.

 

Der 26. Oktober kam heran, und ein Flüstern ging durch die Mannschaft. Morgen werden wir den Äquator passieren, hieß es. Mit der Anfertigung einer Torte beschäftigt, erscheint bei mir der Quartiermeister und fragt, ob ich schon getauft sei. „Das will ich doch meinen“ war meine Antwort. „Ich wollte wissen, ob du schon einmal den Äquator passiert hast, ergänzte der Seebär. Auf meine verneinende Antwort notierte er meinen Namen und Stand und verschwand wieder.

 

Die Vorbereitungen zu dem festlichen Akt wurden getroffen. Das Schiff wurde mit Girlanden und Flaggen reich dekoriert. Zum Zwecke der Taufe wurde das größte Segel herbeigeschafft und in ein Taufbecken verwandelt. Der verhängnisvolle Tag brach an. Das hergerichtete Bassin wurde mit geheiligtem Linienwasser gefüllt und die Zeremonie nahm ihren Anfang. Seine Majestät Neptun mit hoher Gemahlin  nebst Gefolge waren erschienen und hatten auf dem Thron neben dem Bassin Platz genommen. Im Halbkreis herum saßen die Passagiere, Offiziere und Mannschaften. Nach und nach kamen die Täuflinge, und der Tauftext wurde an jedem Einzelnen vollzogen. Als ich meinen Namen rufen hörte, packte mich ein geheimes Grauen, und ohne Besinnen verschwand ich von der Bildfläche. Eben in der Küche angelangt, erschien ein als Polizist verkleideter Matrose und forderte mich im Namen des Gesetzes auf, ihm zu folgen. Ich reklamierte, aber ohne Erfolg. Von kräftigen Fäusten gepackt, musste ich mit. Ich stand im nächsten Augenblick vor Neptun, dem Beherrscher der Meere. In einem großen Buch blätternd, fragte er mich nach Namen und Stand und erteilte mir den Namen „Schellfisch“.

 

 Alsbald trat der Barbier in Tätigkeit um mich vom Schmutze der nördlichen Halbkugel zu reinigen. Mit einem großen Pinsel wurde ich mit einer Schwarzen , teerartigen Flüssigkeit eingeseift, und, bevor ich zur Besinnung kam, wurde ich auf dem Rand des Bassins sitzend, von vier kräftigen Matrosenhänden gepackt und mit voller Kleidung rücklings ins Bassin geworfen. Nachdem ich noch einmal untergetaucht war, entschlüpfte ich dem nassen Element, und wie ein begossener Pudel, keinen trockenen Faden am Leibe, strebte ich unter schallendem Gelächter den heimischen Penaten zu, um mich umzukleiden. Als der Taufakt beendet war, wurde zum Sammeln geblasen. Voraus die Schiffskapelle, Maskierte sowie sämtliche Teilnehmer schlossen sich an, um mit Sang und Klang durch die Schiffsräume zu wandern. Die Amateur-Fotographen traten in Tätigkeit um das Bild dauernd auf die Platte zu bannen. Die Reederei hatte Freibier gestiftet, und so wurde der Abend vergnügt verbracht. Zur bleibenden Erinnerung an die Äquatortaufe erhielt jeder Täufling eine mit dem Schiffssiegel versehene Urkunde ausgehändigt. Somit hatten wir die Sonnenlinie passiert und steuerten auf Bahia als nächsten Anlegehafen  los.

 

In den nächsten Tagen hatten wir unter einer fast unerträglichen Hitze zu leiden, so dass wir uns immer auf die etwas kühleren Abende freuten. An solchen Abenden, auf Studien unterwegs, war ich auch in den Matrosen-Logis ein gern gesehener Gast. Daselbst ging’s lustig zu. Der Willem holte seine Mandoline, von uns Klingelkiste genannt oder Schafsschicken, der Krüschan war Künstler auf der Mundharmonika und der Fritz bearbeitete eine selbstgefertigte Trommel. Das Konzert nahm seinen Anfang. Als Zwischenakt wurde auch  mal ein Solo gesungen oder auch ein kleiner Vortrag gehalten. So vergingen die Tage in Freud und Leid.

 

Ein anderes Bild: Begräbnis auf See. Durch den Heildiener (Sanitäter) erfuhr ich, dass der kranke Zwischendecker am Morgen seinen Geist aufgegeben hatte und am selben Abend 12 Uhr ins Meer versenkt würde. Da ich schon viel von Begräbnissen auf See gehört hatte, trieb mich die Neugierde, auf alle Fälle der Zeremonie beizuwohnen. Ein Blick durch die offene Hospitaltür hatte mich belehrt, dass der Verstorbene ein Portugiese sei. Die Leiche war wie üblich in Sackleinen mit altem Eisen beschwert, eingenäht und mit portugiesischer Flagge als letzte Ehrung umhüllt, aufgebahrt. Kurz vor 12 Uhr abends hatte ich mein Versteck mit einigen Kameraden bezogen, von wo aus wir den Schauplatz überblicken konnten. Der Akt wird im allgemeinen auf den Schiffen geheim gehalten, ohne überflüssige Zeugen entweder 12 Uhr abends oder 4 Uhr früh, wenn alles ruht, vollzogen.

Punkt 12 Uhr stoppten die Maschinen. Das Schiff lag ruhig da. Leise hörte man nur das Plätschern der Wellen, die sich am Schiffsrumpf überstürzten, sonst Totenstille ringsherum. Da, langsam bewegte sich der Leichenzug die Treppe empor. An der Reling angelangt, machte die kleine Schar halt, und die Matrosen legten ihre traurige Bürde ab. Der erste Offizier kommandierte: „Mütze ab zum Gebet“. Ein kurzes Gebet wurde vom Offizier für den Entschlafenen gesprochen. Als dann auf  Kommando, der von der Flaggenhülle befreite Leichnam, von Matrosenhänden auf die Reling gehoben und auf ein weiteres Kommando glitt der Tote langsam unter dem Grabgesang der platschenden Wellen in die rauschende See.

Die Seeleute versahen wieder ihren weiteren Dienst. Der Dampfer setzte seine Fahrt fort und suchte mit Volldampf voraus die verlorene Zeit wieder einzuholen. Auch ich strebte meinen Penaten zu, konnte aber nach all diesem Vorangegangenen noch lange nicht den ersehnten Schlaf finden.

 

An nächsten Morgen wurde unser Schiff von zahlreichen Wasservögeln umschwärmt, ein Zeichen, dass wir uns dem Lande näherten. Dieses wurde von allen mit Freuden begrüßt. Am letzten Tag vor Bahia fand an Bord das sogenannte Galadiner, auch Kapitänsessen genannt, statt. An diesem Tage wird das schönste, was Küche und Keller bieten können, aufgetischt. Auch der Konditor zeigt an diesem Tage sein können. Auf der Tafel prangen künstlerische Schaustücke, wie Tafelaufsätze, Schokoladenkörbe, Makronenaufsätze und anderes mehr. Während des Diners findet die allen Ozeanreisenden bekannte Steward-Polonaise statt. Sämtliche Stewards sind maskiert, mit Lampions versehen, tragen sie diesen Nachtisch, welcher an diesem Abend in illuminiertem Eis besteht, durch die Tischreihen um es unter Klängen der Bordkapelle zu servieren. Wie Gespenster heben sich die verschiedenen Gestalten in dem matten Schein der Lampions im fast dunklen Salon ab. Nach dem Diner fand als Abschluss des Abends ein Wohltätigkeitskonzert unter gütiger Mitwirkung einiger Künstler und Dilettanten, die sich unter den Passagieren befanden, statt. Der Erlös fließt in die Hilfskasse zur Unterstützung deutscher und amerikanischer Seemanns-Witwen – und Waisen.

 

Gegen 11 Uhr suchte ich im Bewusstsein, einen genussreichen Abend verlebt zu haben, meine Ruhestätte auf. Am nächsten Morgen schimmert in weiter Ferne Land, alles an Bord jubelte, und jeder atmete erleichtert auf als nach langer Zeit mal wieder die Ankerketten rasselten. Bahia blanca in seiner ganzen malerischen Pracht lag vor uns, amphitheatralisch erheben sich die Häuser der Stadt an Gipfeln und Hügeln, ein wirklich imposanter Anblick. Auch hier waren wie in Madeira die Eingeborenen in ihren sonderbaren kleinen Fahrzeugen erschienen, an der Schiffstreppe liegend, boten sie aller Arten einheimischer Waren, wie Korbwaren, Früchte, Muscheln, Affen, Papageien und Ziervögel, eine Fülle von Interessantem feil. Wer kaufen will, muss mit der Eigentümlichkeit rechnen, das zunächst das bis Zehnfache gefordert wird, als der eigentliche Wert oder Verkaufspreis einer Ware beträgt. Man kann getrost den zehnten Teil des geforderten Betrages bieten und wird nach einigem feilschen in der Mitte zusammenkommen. Am selben Nachmittag noch lichtete unser Dampfer die Anker, den Kurs auf Rio de Janeiro gerichtet.

Als wir uns der Einfahrt zu der Bucht von Rio näherten, gewahrte ich, dass im Vortopp unseres Schiffes die Nationalflagge mit rings umlaufenden weißen Streifen gehisst wurde zum Zeichen, dass unser Kapitän einen Lotsen wünscht. In der Ferne sah man ein Schiff auftauchen, welches sich als ein Lotsenschoner entpuppte. Und  schon nahte sich uns ein Boot, bemannt mit drei wettergebräunten Seeleuten. An unserer Schiffswand wurde eine Strickleiter heruntergelassen und dem nahenden Boot hilfreich eine Leine zugeworfen. Mit seemännischer Geschicklichkeit erklimmte der Lotse die Leiter, und in der nächsten Minute stand er neben dem Kapitän, übernahm das Kommando des Schiffes um es mit sachkundiger Hand in den sicheren Hafen zu lenken. Ruhig glitt das Schiff über die leicht bewegten Fluten zwischen Felsen und Klippen hindurch, vorbei an den zur Linken aufragenden, steilen Felsen, im Volksmund „Der Zuckerhut“ genannt, und ging ohne weitere Zwischenfälle am 3 November morgens 8 Uhr vor Rio de Janeiro vor Anker. Auch hier hatten sich wieder die kleinen Fahrzeuge mit ihren drei- und viereckigen Segeln an der Schiffstreppe eingefunden und hofften, fürs an Landsetzen der Passagiere einen kleinen Nutzen zu ernten. Die Passagiere, deren Reiseziel Santos war, wurden vertraglich von einem anderen Dampfer der südamerikanischen Dampfschifffahrtsgesellschaft übernommen und sofort weiterbefördert, da wir nach vier Tagen zwecks Entladung liegen mussten. Wir waren froh als der letzte Passagier von Bord war, und freudig ging es daran unsere Arbeitsräume zu renovieren.

 

In Rio de Janeiro erhielt die Besatzung Moskitonetze ausgeliefert, die zum Schutz gegen die gefährlichen Stechfliegen über die Kojen gespannt wurden. Bevor wir abends in unseren Käfig krochen, wurde das Netz sorgfältig abgesucht. Trotz aller Vorsicht konnte ich es doch nicht verhindern, dass mein Gesicht eines Morgens durch die giftigen Stiche der Moskito bis zur Unkenntlichkeit entstellt war.

 

Am 7 November bei herrlichem Sommerwetter setzten wir die Fahrt an der brasilianischen Küste fort. Auf dem Deck stehend empfindet man wie schnell einen der eigenartige Zauber Brasiliens gefangen hält. Schöne Landschaften, die durch ihre abwechslungsreichen Szenerien das Auge immer wieder aufs Neue fesselten, tauchten auf und verschwanden.

Am 8. November morgens 10 Uhr nach achtzehnstündiger Fahrt lag unser Schiff regungslos an der Kaimauer im Hafen von Santos.

Vierzehn Tage Ruhe!

 

Santos ist ein bedeutender Handelshafen Brasiliens, weltbekannt durch die enorme Ausfuhr von Kaffee. Schiffe aller Nationen laufen täglich ein und aus. Die Stadt liegt in einem Talkessel, ganz von Bergen eingeschlossen. Früher sollen Malaria und das gelbe Fieber hier arg gewütet haben, jetzt aber ist Santos trotz der sumpfigen Gegenden im einigermaßen gesunden Klima. Nachmittags wurde die Sommergarderobe, weiße Hose, Sporthemd und Strohhut hervorgeholt, und in Gesellschaft des Friseurs betrat ich den fremden Boden. Mein Begleiter war nicht mehr ortsfremd. Wir schlenderten durch die holprigen Straßen der Stadt, hin und wieder unseren immer wiederkehrenden Durst durch ein Gläschen Ananas-Limonade löschend, gelangten wir in einen großen Volkspark, eine herrliche Anlage. Arm und Reich, Schwarz und Weiß sowie Farbig lustwandelte hier in der Abendkühle unter Palmen, Orangen und anderen tropischen Gewächsen und lauschten den Klängen einer 40 Mann starken Feuerwehrkapelle, um sich nach der drückenden, tropischen Tagesglut zu erholen.

 

Die Sehenswürdigkeiten der Stadt waren bald in Augenschein genommen. Da nun das Wandern und der Reisebetrieb uns Deutschen bekanntlich im Blute liegt, regte sich auch in mir die alte deutsche Reiselust. Das Wandern hat aber bei südamerikanischen Entfernungen und Hindernissen gar bald ihr Ende erreicht. So musste ich, wollte ich meinen Plan ausführen, die Eisenbahn benutzen. Hierzu gehört schon ein bisschen Unternehmungslust. Und wie sich meine Fahrt nach Sao Paulo gestaltete, will ich hier in Kürze schildern.

 

Um mir einen zweitägigen Urlaub zu erbitten, stand ich eines Abends in der Kabine des Oberkochs. „Was wollen sie denn in Sao Paulo“ war erstaunte Frage des Küchengenerals. „Einen Schulfreund besuchen“, log ich gleichgültig, hatte aber in der nächsten Minute schon meinen Schritt bereut. Als nämlich der Chef mir den Urlaub bewilligte, teilte er mir mit, dass auch er nach Sao Paulo wolle und mich einlud, in seiner Gesellschaft zu reisen. Die Situation schnell erfasst, nahm ich die Einladung dankend an.

Am nächsten Morgen in aller Frühe, nachdem ich mich in der Küche verproviantiert hatte, traten wir die Reise an. Bevor wir die Bahn erreichten, wurde noch in einige Schänken eingekehrt um die Zunge zu kühlen. Im letzten Moment landeten wir mit unseren Fahrkarten I. Klasse auf dem Perron des abfahrenden Zuges. Um meine Kasse nicht mit Gewalt zu sprengen, hätte ich lieber die weit interessantere II. Klasse benutzt. Als mir aber der Chef bedeutete, dass es in Brasilien nur zwei Bahnklassen gibt und die II. Klasse nur von Eingeborenen benutzt wird, musste ich wohl oder übel die vierzehn Emmchen blechen. Der Beamte mahnte zur Eile und wir betraten das Coupe.

Ein gellender Pfiff und keuchend setzte sich die mit Petroleum gespeiste Lokomotive in Bewegung. Zunächst führte sie uns an üppig bewaldeten Hügeln entlang und dann durch eine gänzlich unbebaute Sumpfgegend. Plötzlich ändert sich die Landschaft, Bananenhaine und Palmenwälder beleben das Bild. Dann kommt der Zug in das Gebiet größerer Kaffeeplantagen, hin und wieder taucht eine Ortschaft mit ihren Ananaspflanzungen auf bis wir schließlich durch meist unbebaute mit wildem Buschwerk bewachsene Gegend sausen und nach kurzem auf eine Größeren Station namens Blumenau haltmachen. Nach kurzem Aufenthalt bestiegen wir das Coupe einer Zahnradbahn. Ein Pfiff, die Bahn fing an zu klettern und Zwar zunächst durch tropischen Urwald, oft schäumende Flüsse überschreitend, und stieg dann zwischen hohen, mit tropischen Vegetationen bewachsenen Bergen aufwärts. Nachdem wir nach und nach neun größere und kleinere Tunnels durchrauscht und noch einige Stationen Halt machten, langten wir nach drei Stunden in St.Paulo an. Der Küchenchef wurde am Bahnhof erwartet, ein Herr in Begleitung einer Dame und zwei kleinen Mädchen begrüßen uns aufs freundlichste. Der fremde Herr nahm sich auch meiner an, rief einen Eingeborenen heran und übertrug ihm meine Führung nach der Rue de Triumphfo Nr. 52. Der Führerlohn war festgesetzt, wir verabschiedeten uns, und ich trabte stumm neben meinem Begleiter her durch die belebten Straßen der Stadt. Da ich mich in keiner Weise mit meinem Begleiter verständigen konnte, war ich nur bemüht, mir die von uns passierten Straßen einzuprägen. Nach etwa 20 Minuten kamen wir in der Rue de Triumpfo vor einem Geschäftshaus an über dessen Fenstern in größeren Buchstaben „Germanische Buchhandlung“ prangte. Hier machte mein Begleiter halt, und ich wusste, dass wir am Ziel waren. Ich zahlte den vereinbarten Führerlohn und betrat den Laden. Von dem Inhaber , einem 35-jährigen Herrn wurde ich sehr freundlich aufgenommen, und mir wurde in liebenswürdiger Weise jede Auskunft erteilt. Auch wurde ich eingeladen am Abend an einem deutschen Schulfest teilzunehmen. Nachdem ich eine kleine Erfrischung eingenommen, begleiteten mich die beiden kleinen Knaben des Herrn in eine von Deutschen bevorzugte Restauration. Ich betrat eine unsaubere Schänke, in einer engen Gasse gelegen. So wenig Vertrauens erweckend wie das Aussehen des Lokals mit seinem stolz klingenden Namen war auch das Aussehen der Gäste. Ich sah dort Gestalten, mit denen ich mich in unserem Vaterlande nicht gezeigt hätte. Ein Landsmann, dessen Bekanntschaft ich machte, erklärte mir, dass man in Sao Paulo, wo alles so teuer, genötigt sei, Lokale von minder einladender Ausstattung aufzusuchen. Im Übrigen gibt es in Brasilien nicht so strenge Rangunterschiede wie bei uns in Deutschland. Hier verkehrt Arm und Reich, Hoch und Niedrig ungezwungen miteinander. Weiter erzählte mir der Landsmann bei einem Glase Bier, er sei Sachse und von Beruf Tischler, bereits zwei Jahre im Lande; habe gute und schlechte Tage gesehen. Vor einigen Tagen sei seine Frau mit zwei kleinen Kindern gelandet. Sie hatten mit uns die Überfahrt gemacht. Nach seinem Äußeren zu urteilen, ging es ihm noch nicht glänzend. Als der Sachse abgerufen wurde, rief ich den Wirt herbei um wegen eines Zimmers für die Nacht, Rücksprache zu nehmen. Der Wirt war Italiener und er forderte mich im gebrochenen Deutsch auf, ihm zu folgen. Durch einen schmalen Gang kamen wir in eine kleine Kammer. Ein kleines Fensterchen spendete ein dürftiges Licht. Die Kammer enthielt ein gebrechliches Bett mit schmutzigen Einlagen, einen Stuhl und einen Tisch. Die Tür in keiner Weise verschließbar. Meine Frage, ob nicht ein anderes Zimmer bereitstehe, verneint er, und so blieb mir einstweilen nichts anderes übrig, das Zimmer zu mieten, um erst einmal eine Weile allein zu sein und mich ordentlich satt zu essen vom Mitgebrachten. Als nun der Magen seine Rechte hatte, suchte ich das deutsche Konsulat auf zwecks Besorgung eines Reisebegleiters. Auch hier wurde ich freundlich empfangen, und ich erhielt den gewünschten Führer. Mein Reisebegleiter war zwar nicht lebendig, aber trotzdem ein Ideal, sorgte für mich wie ein Lebendiger, war stets bereit und zeigte mir alles, was mein Herz zu sehen wünschte, denn nur verhältnismäßig wenige, durch Geburt oder Vermögen, sind in der angenehmen Lage sich auf der Reise in der weiten Welt eines lebendigen Reiseführers und Dolmetschers zu bedienen. Auf meinen Streifzügen sahen dann meine Augen viele Eigentümlichkeiten der Stadt. Ein unaufhörlicher Verkehr wogte durch die zum Teil sehr steilen Straßen. Sao Paulo ist in jeder Beziehung eine moderne Stadt, besitzt gut gepflegte Straßen, elektrisches Licht und elektrische Straßenbahn. Das Pferd wird in Brasilien durch Ochsen und Maultiere ersetzt, weil diese Tiere das Klima besser vertragen und auch eine größere Ausdauer besitzen als ein Pferd. Nach längerer Wanderung bringt mich mein Führer in einen großen Park, Königsgarten genannt.

 

Wenn es ein Paradies auf Erden gibt, dann sei es hier. Wundervolle Anlagen mit ihrer tropischen Pracht halten jeden Fremden gefangen. In den Bäumen, Büschen und Palmen wiegten sich tausende und abertausende der verschiedenfarbigsten Zier- und Singvögel, wie ein tausendstimmiger Chorgesang erscholl ihr Abendgesang aus den Blätterkronen. Dazwischen schaukelten die munteren  Papageien und drolligen Affen. Inmitten des großen Parks befindet sich ein zoologischer Garten mit den wildesten und  possierlichsten Tieren der Welt. Als das Konzert der Vögel verstummte und der Abend sich hernieder senkte, füllte sich der Garten mit lustigen Menschen. Auf den Promenaden lustwandelnd oder vorm Gartenrestaurant Erfrischungen schlürfend, lauschte man den Klängen einer brasilianischen Militärkapelle unter Orangen und Palmen. All dies Schöne konnte jedoch nicht den Eindruck meines Hotelzimmers in mir verscheuchen, und ich fasste den Entschluss, mit dem letzten Zug nach Santos retour zu fahren. Auf kürzestem Wege rannte ich zum Bahnhof, erreichte gerade noch den Zug, schlüpfte aber diesmal in die interessantere zweite Klasse, obgleich meine Fahrkarte für die erste Klasse berechtigte. Etwas erholt, nahm ich mir die Mitreisenden in Augenschein. Vis à vis von mir saß eine Dame von kolossaler Körperfülle, neben mir die Dienerin der Dame, eine junge Portugiesin. Außerdem befanden sich noch zwei Tischler und ein Monteur, alle deutscher Herkunft, im Abteil. Die Dame stellte sich als Schweizerin vor, sie war die Wirtin vom „Schweizerhaus“ in Santos. Das Schweizerhaus wurde viel von deutschen Seeleuten besucht. Die alte Dame war sehr fröhlich gestimmt und verzapfte fortwährend Wein aus einer großen Korbflasche unter die Coupe-Insassen. Da nur ein Trinkbecher vorhanden war, machte dieser die Runde. Auch ich wurde zum Trunke eingeladen, und in kurzer zeit herrschte in dem kleinen Raume ein recht fidele Stimmung. Die beiden Tischler stiegen in Blumenau aus. Als wir übrigen uns in Santos trennten, waren wir alle gute Bekannte. In meiner dienstfreien Zeit spazierte ich gewöhnlich am Hafen entlang um das Leben und Treiben hierselbst und auf den Auswandererschiffen zu beobachten. Mir neu war auch das Verladen der Ochsen, welche als Schlachtvieh dienen sollten. Von zwei Brasilianern, hoch zu Ross, wurden die Ochsen zum Hafen getrieben . Dort angelangt, legte man den Ochsen eine Schlinge um die mächtigen Hörner, durch einen Kran spielend über die Bordwand gehoben, wurden sie im Laderaum abgesetzt.

 

Um den Hafen herum liegen die Schunken. Wenn das Lied der Kräne abends verstummt, beginnt das Leben in den Schunken. Schmetternde Musik, girrendes Lachen und trunkenes Fluchen tönt zu  uns auf die Straße. Jan Maat amüsiert sich, er liebt eine derbe Kost, einen kräftigen Schluck und ein williges Mädchen. Durch die dumpfen, schmutzigen Hafengassen treibt während der ganzen Nacht ein frohes Leben. Natürlich versäumt kein Weltenbummler, das lockende Nachtleben der Hafenstädte mitzumachen. Hier ist Jan Maat die Hauptperson. Unter gellendem Gesang endet er zum Schluss in einer Bar und kehrt dann total müde und nicht selten mit geschwollenem Gesicht und blauen Augen zurück.

 

Der letzte Tag in Santos rückte heran. Dieser musste natürlich würdig gefeiert werden. In einer deutschen Wirtschaft traf ich mit mehreren Kameraden zusammen. Hier ging es ganz lustig her. Der Kaffee wird in Brasilien, trotzdem er gut und billig ist, von den Gästen kaum gewürdigt. Bier muss es sein, das hier wirklich fabelhaft teuer und schlecht ist, auch leicht Durchfall erzeugt. Eine Flasche Bier wurde mit zwei Mark bezahlt. Von hier zogen wir in eine Matrosen Singspielhalle. Dort saß man bei Wein und Schnaps trinkend an kleinen Tischen. Mädchen verschiedener Rassen und Nationen bedienten, erlaubten sich Scherze und Derbheiten, wie es Jan Maat allgemein liebt. Es waren Seefahrende aller Länder vertreten. Das Geld rollte.

 

Der 22. November brach an, die Abschiedsstunde rückte näher. Programmgemäß ertönt das Glockenzeichen zur Abfahrt. Der Maschinentelegraph spielt, leicht erzittert das Deck durch die in Gang gesetzte Maschine. Die letzten Taue werden eingezogen, und schon schwimmt das Schiff mit einer reichen Ladung von 60 000 Sack Kaffee der fernen Heimat entgegen.

 

An Kajüt -Passagieren hatten wir auf der Heimreise nur zwanzig und auch nur wenig Zwischendecker, so dass wir auf der Heimreise ein gutes Leben führen konnten. So blieb uns genügend Zeit, die ganzen Reiseeindrücke nochmals gründlich durchzukosten. Das Leben und Treiben an Bord war auf der Rückreise bedeutend ruhiger, infolgedessen musste ich meine Studien in andere Bahnen lenken. In Bahia angekommen, wurde eingekauft. Da die Schiffsleitung der Besatzung gestattet hatte, Papageien und sonstige Vögel an Bord zu nehmen, versah sich jeder nach Bedarf. Leider war die Jahreszeit ungeeignet zur Einfuhr tropischer Vögel, zumal die Vögel den krassen Temperaturwechsel nicht gut vertragen.

Unter den wenigen Passagieren, die in Bahia an Bord kamen, befand sich auch mein Freund, der Berliner Vogelhändler. Mit ca. 200 Papageien, mehreren hundert Zugvögeln aller Art, Straußen, Affen und einigen Schlangen kam er an Bord.

In Rio de Janeiro ankerten wir ein paar Tage um eine größere Ladung, zum Teil für Madeira und Lissabon an Bord zu nehmen.

 

Sonnige Tage strahlten über Land und Meer. Jeden Morgen 8 Uhr und nach Sonnenuntergang findet an Bord im Auslandshafen die Flaggenparade statt. Unter den Klängen des Präsentiermarsches und der deutschen Nationalhymne gehen langsam die deutschen Farben am Heck des Schiffes hoch. Als Abschluss spielt die Kapelle die brasilianische Nationalhymne. Am zweiten Tag vor Rio zeigte der ganze Hafen ein festliches Kleid, denn man feierte in Brasilien heute ein Nationalfest. Unser Schiff, wie auch alle anderen, hatten bunten Schmuck angelegt, nämlich, über die Toppen geflaggt, d.h. alle Flaggen und Wimpel von Mast zu Mast vereinigt.

Mittags 12 Uhr kündigten Salutsschüsse der im Hafen liegenden brasilianischen Kriegsschiffe, wie auch der deutschen Kreuzer, die gerade hier anwesend waren, den Huldigungsgruß.

 

Madeira erreichten wir ohne Zwischenfälle. Den so gerne an Bord gelittenen Händlern war diesmal das Betreten des Schiffes untersagt, weil an Land Fiebererkrankungen vorgekommen waren. Unser Dampfer lichtete die Anker, dem Kurs auf Portugal gerichtet. Einen Tag von Madeira unterwegs, kam wieder schwere Dünung auf. Das Schiff rang zwei Tage mit den drohenden Wellen. Wild türmten sich die Wogen, hart kämpfte das Schiff stampfend und schlingernd. Es rast die See und  sucht sein Opfer zu verschlingen. Donnernd schlägt sie gegen die eiserne Bordwand, umsonst gierig züngelt sie und fegt über das Deck. Ein Matrose wurde beim Sicherheitsdienst an Deck beim Überholen des Schiffes hart gegen die Reling geworfen und hat eine schwere Verletzung des Auges davongetragen. Als Jan Rasmus (Seemannsausdruck für schwere See) sich wieder beruhigt hatte, sichteten wir einen Segler, der eine Notflagge gehisst hatte. Dem Seefahrtsgesetz gemäß wurde von unserem Dampfer sofort ein Boot ab gesandt, vom Segler zurück, wurden ein Sack Mehl, Kartoffeln und andere Nahrungsmittel übernommen und dem in Not geratenen Segler überliefert, der durch den schweren Sturm der letzten Tage in eine trostlose Lage geraten war. Nach ca. zwei Stunden setzten wir die Fahrt fort. Unter Volldampf wurde die verlorene Zeit wieder eingeholt.

 

An schönen Abenden stand ich mitunter stundenlang am Heck des Schiffes und beobachtete das wunderbar seltsame Meeresleuchten. Das Meer flimmerte von den zahllosen Lichtpünktchen, welche im Kielwasser des Schiffes aufleuchteten wie funkelnde Edelsteine. Auch dies waren mir unvergessliche Augenblicke.

 

Unter den vielen Wundern, die der Landbewohner auf dem Ozean kennenlernt, ist das entzückendste der Sonnenaufgang, der auch auf mich einen bleibenden Eindruck hinterließ, so dass ich noch heute nach Jahren in Schwärmerei gerate, wenn ich jenes erhabenen Anblicks gedenke, als ich am Morgen, da ich das Erscheinen der majestätischen Himmelskönigin erwartete. Fern im Osten beginnt es zu flammen, erst im matten Schein, dann mit wachsender Helligkeit und in bestimmterer Farbentönung. Mehr und mehr färbt sich der Horizont, weiter und weiter dehnt sich der Kreis, dunkelrot leuchtet es jetzt da, wo Himmel und Meer sich vereinigen. Flüssiges Gold wogt aus dem Osten.

Purpurwellen wandeln die See in ein Feuermeer. Da blitzt ein blendender Strahl hervor, noch einer, nun ein Bündel von Strahlen und die flammende Leuchte des Tages , die Sonne, ist in ihrer Majestät erschienen.

 

Der so schön begonnene Tag hielt nicht, was er versprach, denn der Abend sollte uns in eine entgegen gesetzte Stimmung bringen. Wolken sammelten sich über uns, und ein böser Sturm blies auf unser Schiff los, dass es hin- und her rollte, als spielten die Meernymphen Rangball mit ihm. Solange als möglich, hielt ich mich oben auf Deck auf, da man unten in den Schiffsräumen bei hohem Seegang zu leicht der Wiederkehr lieblichster Seekrankheit ausgesetzt ist. Das Unwetter verzog diesmal aber schnell, denn am nächsten Abend saß ich schon wieder am Bugspriet und schaute in normale Fluten und ergötzte mich an dem Spiel der sogenannten Schweinsfische, die sich in großen Scharen in den Fluten lustig tummelten. Bald Tauchten sie vor unserem Kiel auf, flüchteten minutenlang vor uns her, bis sie endlich seitwärts in der Tiefe verschwanden.

 

Lissabon erreichten wir ohne nennenswerte Zwischenfälle. Hier hatten sich die Händler wieder eingefunden. Und wer noch einen billigen Portwein oder einen guten Rum für den Weihnachtstisch liebte, erwarb sich noch ein kleines Fässchen. Je weiter wir uns der Heimat näherten, desto fröhlicher Wurde das Leben an Bord, und als endlich die „Alte Liebe“, das von heimkehrenden Seefahrern so gern gesehene Leuchtfeuer, passiert war, kannte die Freude keine Grenzen.

 

Endlich, am  17. Dezember schmiegte sich unser Ozeanriese langsam an die Kaimauer und wurde vertäut.

Am nächsten Morgen wurde ausgemustert und mit gefüllten Taschen auf dem Hamburger Dom ein fröhliches Wiedersehen gefeiert. In vorgerückter Stunde landeten wir im Dom Cafe. Im Kreise lustiger Zecher lauschten wir den munteren Weisen einer Damenkapelle, hell erklangen die Gläser auf das Wohl der deutschen Mädchen.

 

                                                „Wer das grüne kristallene Feld

                                                  Pflügt mit des Schiffes eilendem Kiele,

                                                  Der vermählt sich dem Glück,

                                                  Dem gehört die Welt!“

Carl Olandt 1906